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DER MANN HINTER DER FRAUENMASKE

 France Delon abgeschminkt

 Von Hansruedi Fritschi

 ©Ta-Mi Verlag, Kraus   Postfach 245  CH-8025 Zürich  0041-1-262 15 21

Frage: Warum tritt ein Mann als Frau auf?

Eigentlich war es nicht geplant. Angefangen hat es, ich war im Kirchenchor und hab auch getanzt, in Köln, in einer Ballettschule, schon als Kind. Also angefangen hat es mit Tanzen und Singen. Dann habe ich Leute aus der Travestie-Szene kennengelernt, und die haben gesagt, Mensch, mach doch mal was bei uns. Das ging aber nicht, weil ich noch gearbeitet habe, ich bin Hotelkaufmann. Dann habe ich die zwei Dinge doch parallel laufen lassen, bin nachts aufgetreten, habe gesungen und getanzt und habe als Conférencier gearbeitet: Als Mann. Zwar in der Travestie-Szene, aber als Mann. Damals war der Film "Cabaret" mit Liza Minelli und Joel Grey so berühmt. Diese Conference-Geschichten kamen damals auf, aber ich bin als Mann aufgetreten und hatte das auch überhaupt nicht anders vor. Nur, irgendwann war ich da mal in Hamburg, im "Pulverfass", und mein Chef sagt, ist ja ganz gut, was Du machst, aber die Leute wollen Männer in Frauenkleidern sehen, das wird immer aktueller. Einen Sänger oder einen Tänzer können sie sich natürlich überall ankucken, das ist nichts Besonderes. Dann habe ich gedacht, was machste jetzt?

Dann bin ich in die Garderobe und hab mir von den Kolleginnen die Sachen genommen, Schminke, Perücke, Kleider und habe mich, so gut es eben ging, zurecht gemacht und geschminkt. Heute weiss ich, dass es furchtbar war, aber damals sah es wohl toll aus. Dann bin ich wieder raus, und mein Chef hat mich erst gar nicht erkannt, hallo, wer bist denn Du? Ja, so und so. Mein Gott, da machen wir gleich neue Verträge. Für mich war es wichtig, mit Menschen zu arbeiten, wie und in welcher Form auch immer. Ob ich meine Lieder im Anzug oder im Kleid singe, war mir von der Grundstruktur her egal.

 

Frage: Dass du auf der Bühne ein Kleid anhast, ist demnach reiner Zufall?

Am Anfang schon, aber ich hab dann einfach gemerkt, ich kann besser mit Menschen arbeiten, wenn ich ein Kleid anhabe. In einer Verkleidung kann ich viel frecher, viel witziger sein. Ich kann die Leute viel mehr provozieren als im Anzug, als Mann. Es hat mich gereizt, viel mehr aus den Leuten rauszuholen, sie zu Reaktionen zu verführen, die sie selber nicht für möglich halten. Dann hab ich gesagt, O.K., wenn das eben im Kleid ist, ist es eben im Kleid. Was mir nachher dann auch gefallen hat, ich fand es faszinierend, die Verkleidung, zumindest in den ersten Jahren.

Später hab ich gemerkt, jeden Abend schminken, anziehn und, und, und, das wird zu einer Gewohnheit, dass du dir sagst, ich hätte eigentlich lieber ne Maske, die zieh ich über, und dann dauert es fünf Minuten, doch so einfach geht das eben nicht. Aber es ist schon so, dass du viel witziger sein kannst und den Leuten auch optisch etwas bieten kannst als Frau. Die Leute, die sich eine Travestie-Show anschauen, wollen auch überraschende Kostüme, Schminke, die wollen Glamour sehen. Die wollen abgelenkt sein vom Alltagsstress, von dem grauen, eintönigen Alltag, den sie eben kennen. Sie wollen aussteigen und sich berauschen lassen von Glimmer, Glamour, von einmal etwas ganz anderem, was sie sonst nicht sehen.

So bin ich eben dazugekommen, ich wollte es ursprünglich nicht, aber ich hab dann so den Einstieg gehabt, und es hat mir gefallen, und daraus sind mittlerweile 25 Jahre geworden. Es ist nicht von heute auf morgen entstanden, es ist im Laufe der Jahre gewachsen, die Leute glauben immer, es macht Puff, dann ziehst du dir ein Kleid an, und dann bist du da, wo du jetzt bist. Es dauert Jahre, bis du diese ganzen Strukturen durchlaufen hast. Als ich anfing, hat Travestie hinter vorgehaltener Hand stattgefunden, die alte Travestie-Szene aus den dreissiger Jahren, die gab es ja nicht mehr. Und Travestie war damals nichts für die breite Masse, sie hat sich erst mit meiner Generation zu dem entwickelt, was sie heute ist.

Man hat damals gesagt, Travestie-Show, mein Gott, da kann man doch nicht reingehn. Man hat sich immer noch umgekuckt, bevor man in so ein Lokal reinging. Heute gehört das als ganz normaler Showzweig dazu. Und man muss dazu sagen, dass die Generation, in der ich gross geworden bin, die hat massgeblich dazu beigetragen. Auch Mary natürlich, die Travestie für die Massen geöffnet hat, so dass man heute laut sagen kann, ich geh ins Opernhaus, oder ich geh ins Schauspielhaus, oder heute abend geh ich mir mal ne Travestie-Show anschauen. Und ich kann auch am anderen Tag mit Frau Müller, Frau Schmitz oder meiner Nachbarin darüber reden, ohne dass die denken, nein, Travestie-Show, das ist ja furchtbar. Es ist was ganz Normales.

 

Frage: Die alte Travestiekultur ist wohl ein Opfer der Nazizeit geworden?

Die Shows hat es immer gegeben, aber in der Nazizeit ist vieles untergegangen, weil es trotz allem über die Homosexualität lief, viele Travestie-Künstler waren schwul. Doch die Homosexualität wurde von den Nazis streng verfolgt. Und, und, und. Und so musste sich das alles erst wieder neu entwickeln, nach dem Krieg, in den Aufbaujahren. Es hat immer schon Travestie-Shows gegeben, aber sie waren einfach nicht für die Masse bestimmt. Da gingen im Grunde genommen nur Eingeweihte hin oder die Verrückten, die sich sagten, man gönnt sich mal was. Heute ist es eben so, dass Travestie-Shows für jedermann zu sehen sind, auch für Otto Normalverbraucher, und das ist ja auch richtig so.

Die Leute sind auserdem einfach liberaler geworden, sie lassen heute mehr zu als früher. In Deutschland gab es ja bis 1969 noch den Paragraphen 175, der homosexuelle Handlungen - selbst zwischen Erwachsenen - unter Strafe stellte. Ab 1968, als diese ganze Flower Power Bewegung aufkam, hat sich alles geöffnet, und da ging es in der Travestie-Szene eigentlich auch erst wiederso ganz richtig los.

 

Frage: Wo warst du 1968?

In Köln, in der "Flora", das war so ein Theater, da hab ich eigentlich angefangen, bin auf die Bühne gegangen und habe dafür das erste Mal Geld bekommen. Das war der Einstieg. Und dann ging das weiter. Ich habe eigentlich im Schützengraben angefangen mit den Kollegen: Wir haben in kleinen Tanzlokalen, in Diskotheken gearbeitet, wir sind mit Travestie-Shows über Land gezogen, wir haben in Nachtklubs arbeiten müssen, manchmal auch in ziemlich miesen.

Wir haben zum Beispiel mal in der Oberpfalz gastiert, in Cham, in Bayern, da haben die Leute mit Masskrügen nach uns geschmissen, die konnten sich das halt überhaupt nicht vorstellen. Die ersten Jahre war es nicht so, dass die Leute Travestie akzeptiert haben. Was wir uns manchmal anhören mussten, wenn wir mit unserem Tourneebus, der mit "Die Herren Damen laden ein" oder "Herren als Damen" angeschrieben war, aufkreuzen. ältere Frauen haben die Kinder weggerissen und sich bekreuzigt. Es war nicht aktuell, man kannte es einfach nicht, man hatte Angst davor. Es hat lange gedauert, bis sich das durch die Massenmedien, Fernsehn, Presse, bekannt gemacht und geändert hat, bis es salonfähig war. Wir haben dazu beigetragen, wir sind nicht nur in den Grossstädten aufgetreten, wo sich immer alles schneller durchsetzt, wir haben auch über Land Tourneen gemacht. Wir haben immer wieder versucht, Travestie aufs Land zu bringen, in die kleinen Provinzstädte, das war eine Odyssee. Es war ein Experiment, und wir haben viele böse Sachen erlebt in jenen frühen Jahren.

Für mich hat diese Erfahrung den Vorteil, dass ich heute auf der Bühne nicht mehr so nervös bin und gleich in Ohnmacht falle, wenn live irgendeine vollkommen neue Situation auf mich zukommt, ich kann das meistern. Ich hab ganz unten angefangen, wo geschossen wurde, also, wo die Tassen wirklich flogen, wenn heute was passiert, da bleib ich ruhig und locker. Schlimmer als damals, denk ich mir, kann es nicht kommen.

 

Frage: Du hast auch im Zürcher Oberland gearbeitet, gab es damals einen Unterschied zwischen der deutschen und der schweizerischen Provinz?

Das ist jetzt auch schon etwa siebzehn Jahre her, 1977 war das wohl. In Zürich gab es schon Travestie-Shows in einem kleinen Laden, der hiess "El Chico", im Kreis 4, im Rotlicht-Revier. Irgendwann bekam ich ein Angebot aus Hinwil, Ringwil, na ja, ich hab gedacht, das ist auch ne Stadt und hab zugesagt. Da bin in Zürich angekommen, ein Freund hat mich abgeholt, und wir fuhren und fuhren, und es wurde immer mehr Land und immer mehr Land. Und wir sind dann in so ein ganz normales Lokal in Hinwil. Da hab ich zu meinem Freund gesagt, Du, also, Du bleibst so lange hier, bis dieser Chef kommt, ich fahr hier wieder ab. Das war ein ganz einfacher, ganz normaler Oberland Spunten, eine Provinzkneipe, Travestie, hier, das geht doch gar nicht.

Jetzt waren das zwei schwule Freunde, die das Lokal zusammen hatten und das machen wollten, und ich muss sagen, es hat funktioniert. Du hast einfach auf einem ein Quadratmeter grossen Holzbrett in einer Ecke gestanden, links Raclette, rechts Käsefondue und du mit Pailletten in der Mitte und hast "Yesterday" gesungen.

Es gab da nen grossen beheizbaren Ofen, nen Kachelofen, der von aussen geschürt wurde. Und du hast drinnen gesungen, zum Raclette, die schönsten Sachen. Es war da ne Atmosphäre, ich hab gesagt, das kann man auf dem Land doch nicht machen. Aber es war ganz anders, die Leute sind von überall her gekommen, von Rapperswil, von Zürich, von Rüti, von Uster, um da im Zürcher Oberland Travestie-Shows zu geniessen. Die einzigen, die nicht rein gepasst haben, waren die Kühe, die hättens sicher auch gern gesehen, das war aber leider nicht möglich.

 

Frage: War das Klima 1977 schon erheblich liberaler als vorher?

Die Leute fanden Travestie interessant, weil sie etwas vollkommen anderes, neues war. Und die Show lief nicht in der Grossstadt ab, sondern bei ihnen, im Dorf. Es war in der Schweiz immer schon ein bisschen liberaler und freier. Auch wenn die Leute den Sinn der Travestie vielleicht nicht verstanden, haben die Schweizer Zuschauer eher versucht, sie zu begreifen und zu akzeptieren als bei uns in Deutschland, auf dem Land, wo diese Kunstform einfach unbesehen abgelehnt wurde, da war man dagegen. Und hier in der Schweiz hat es einigen vielleicht auch nicht gefallen, aber sie haben Travestie nicht rundwegs abgelehnt, sind nicht stur dagegen Sturm gelaufen. Das Freiheitsdenken in der Schweiz ist ganz anders gewachsen, die Leute waren neutral, sie haben sich gesagt, O.K., schauen wir mal. Du bekamst hier nicht das Gefühl der Diskriminierung wie in Deutschland, das war nicht so. Und von da aus haben wir die Karriere gestartet, vom Zürcher Oberland zurück in die Stadt.

 

Frage: Warum war das denn damals so wahnsinnig provozierend, wenn ein Mann sich als Frau verkleidet?

Es war für die Leute damals neu. Allem gegenüber, was neu und unbekannt ist, reagiert die breite Masse zunächst mal ein bisschen ängstlich. Das Publikum hat in Travestie unterste Schublade gesehen und das gleichgesetzt mit Sexualität und speziell Homosexualität, mit was auch immer, nur nicht mit Show-Business. Also mit Leuten, die etwas vortragen und ihren Zuschauern nen schönen Abend geben wollen. Travestie-Künstler wollten immer nur unterhalten, singen, quatschen, Witze erzählen, und das ist immer falsch ausgelegt worden. Kein Besucher einer Travestie-Show wird zu irgend einer sexuellen Handlung oder Schwulitäten verführt, das wäre ja albern. Heute sehen das die Leute vorurteilsloser an. Sie sagen, O.K., es ist ein Teil des Show-Geschäfts, ein Stückchen des grossen Kuchens. Das musste man den Leuten erst mal begreiflich machen, und dann mussten sie auch noch kapieren, das ist nicht nur billig, es kann beste Unterhaltung sein.

Klar, es gibt überall schwarze Schafe, in jeder Branche, die gibt es auch bei uns, da mach ich mir gar nichts vor. Aber eine Handvoll gute Leute hat auch versucht, Travestie so zu steigern, dass sie ein gewisses Niveau erreicht. Und das haben wir wohl auch geschafft.

 

Frage: Wenn ein Mann sich als Frau verkleidet, bringt er die Definitionen von Weiblichkeit und Männlichkeit durcheinander. Ist das vielleicht die Bedrohung?

Was ich im Laufe der Jahre mitbekommen habe, dass Frauen damit besser umgehen können. Frauen sehen nicht in erster Linie die Sexualität, die klammern das erstmal aus. Für sie ist der Reiz: Was ist darunter, wieso machen die Leute das? Das sind Männer, sehen aber toll aus. Kann ich mich auch so schminken? Wie sehen die als Männer aus? Das kommt sehr viel zusammen. Männer fühlen sich entweder einfach bedroht in ihrer Männlichkeit, oder sie sehen die sexuellen Reizpunkte, lehnen Travestie im ersten Moment immer ab, weil sie sich sagen, Männer in Frauenkleidern, das ist schwul. Sie haben Angst vor ihrer Sexualität und der Erkenntnis, das könnte mir ja doch gefallen. Und wenn es mir gefällt, in dem Moment, dann bin ich auch so, was natürlich Quatsch ist.

Frauen sind demgegenüber viel lockerer, viel offener, du kannst mit ihnen auch ganz normal reden. Beim Mann, da hast du immer das Gefühl, da ist ne Spannung. Leider sehen viele Männer das so, also ich geh jetzt einfach mal von der Norm aus. Sie wollen "Normalität" festschreiben. Homosexuelle Männer sehen das wieder ganz anders. Wenn Travestie einem "normalen" Mann gefällt, dann hat er immer das Gefühl, man hat ihn ertappt bei etwas, was nicht sein darf. Und Frauen haben das eben nicht, die gehen ganz natürlich an die Sache ran, die interessiert die Show einfach. Männer haben da immer ein kleines, eine klitzekleines Problem.

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