Frage: Was hast du zunächst gelernt? 
    Erst habe ich Möbelkaufmann gelernt, dann hab ich auf Hotelkaufmann umschulen lassen.
    Dabei bin ich dann auch geblieben, bis zum Schluss. Ich habe in der ersten Zeit die
    Travestie parallel laufen lassen. Tagsüber habe ich im Büro gearbeitet und abends bin
    ich tingeln gegangen. Bis es dann einfach nicht mehr ging, ich konnte nicht mehr beides
    laufen lassen. Ein Kollege von mir hat dann gesagt, du, also überleg dir das. Entweder,
    du steigst jetzt hier ganz ein und machst das mal en Jahr, du kannst nicht beide Jobs
    nebeneinander her laufen lassen. Du kannst nicht nachts auftreten und tagsüber auf der
    Schreibmaschine schlafen, das geht nicht. 
    So. Dann hab ich mir das überlegen müssen, und ich hatte ein paar Angebote, und dann
    bin ich einfach ins kalte Wasser gesprungen. So, Schluss, aus. Ich versuch's.
     
    Frage: Wo bist du in all diesen Jahren aufgetreten?
    Hauptsächlich im deutschsprachigen Raum. Von Zürich bis Wien, von Wien bis Hamburg
    und München. Ich habe vor allem das
 Dreiländereck Deutschland, Österreich, Schweiz bereist. Holland,
    Dänemark waren so Randgebiete. Und dann hab ich aber auch mal vor ein paar Jahren nen
    Sprung geschafft, Freunde in Amerika haben mich gefragt, ob ich so was mal dort machen
    würde. Ich hab gesagt, das kann ich wahrscheinlich nicht, denn ich kann die Gags nicht
    übersetzen, ich müsste alles neu machen. Aber dann hab ich doch in New York gearbeitet,
    die haben mich nach New York geholt in eine grosse Diskothek. Und ich hab dann vorweg zwei
    doppelte Whiskies getrunken, was ich sonst nie mache, weil ich nüchtern eigentlich am
    besten arbeite, mit Alkohol geht das bei mir nicht, aber die hab ich einfach gebraucht,
    weil der Stress für mich so gross war oder die Aufregung, nicht Stress, die Aufregung und
    die Euphorie, in New York zu arbeiten.
    Ja, es hat funktioniert, ich fand es toll. Ich möchte dort nicht ständig arbeiten
    wollen, aber es war eine Erfahrung und mittlerweile kann ich sagen, ich hab in New York
    auf einer Bühne gestanden. Diese grosse Diskothek heisst sinnigerweise "The
    Munster". Das Plakat war ganz witzig, "The Munster, France Delon", das
    haben die Kollegen in Deutschland natürlich gleich wieder richtig ausgelegt, ja kuck an,
    aber es war der Name vom Lokal.
    Ich bleibe eigentlich immer in dem Bereich, wo ich mich wohlfühle. Ich mach viel neue
    Sachen, aber ich war nie ein Karriere-Typ, der sich selber voran getrieben und gesagt hat,
    ich muss das jetzt um jeden Preis machen. Ich hab immer das gemacht, was auf mich zukam,
    was sich mir geboten hatte, da bin ich eingestiegen. Aber ich habe nie selber gesucht oder
    gesagt, ich möchte gerne da und da hin. Kommt vielleicht noch, weiss ich nicht. 
     
    Frage: Und das hat funktioniert in Amerika mit der Sprache, dieser Fluss kam?
    Ja, allerdings nicht so schnell wie hier. Ich hab zunächst gedacht, du kannst
    höchstens deine Titel ansagen, aber ich habe einen gewissen Small-Talk entwickelt aus der
    Sprache, die ich konnte, aus dem Englisch, das ich habe. Und es hat funktioniert.
    Natürlich war ich sprachlich begrenzt, aber es liegt an der Art, wie du etwas machst, wie
    du auftrittst. Man bringt sich über die Runden, und man kommt auch über die Rampe, je
    nachdem.
     
    Frage: Hast Du am Anfang deiner Karriere Sprech-, Tanzunterricht und Gesangsstunden
    genommen? 
    Ich war, wie gesagt, erst elf Jahre im Kirchenchor und hab dann später bei eine
    Opernsängerin am Opernhaus Nürnberg Phonetik, Rhetorik, Atemtechnik und solche
    Geschichten gemacht. Und Ballett habe ich als Kind im Karnevalsverein angefangen. Meine
    Ballettlehrerin fand dann, dass ich noch zu ihr in die Ballettstunde kommen sollte. Das
    hat mir nachher sicher in vielen Sachen geholfen, zum Beispiel bei den Bewegungsabläufen.
    Ich hab davon so viel mitbekommen, dass ich nachher wusste, wie ich mich zu bewegen hatte.
    Ich hab mir nicht alles selber beibringen müssen. 
     
    Frage: Es gibt demnach auch in der Travestie keine Naturtalente? Man muss offenbar auch
    etwas investieren? Das Ganze ist mit Arbeit verbunden? 
    Ja, schon, aber es gibt schon Talent. Das ist etwas, das in vielen Leuten einfach
    schlummert, was nur durch irgendwelche Personen, irgendwelche Umstände geweckt wird. Die
    Leute, die ein gewisses Talent in sich haben, begreifen es schneller. Andere Menschen
    müssen sich bemühen, stundenlang üben und bringen es nie so gut hin wie jemand, der das
    Talent hat. Ob das Vererbung ist, wo das herkommt, weiss ich nicht. Es gibt Leute, die
    haben eine schnellere Auffassungsgabe, spüren etwas viel schneller und lassen es auch
    schneller raus. Das sind die Sachen, die du nicht lernen kannst, die sind da, du kannst
    nur kucken, dass du sie wecken kannst. 
    Wenn du bei jemandem das Gefühl hast, da ist Talent vorhanden, und der weiss das noch
    gar nicht, dann kannst du ihm helfen, den Weg zu finden, ihm ein bisschen helfen, und
    derjenige macht das nachher ganz alleine. Aber er braucht auch einen Grundstock an
    Fachwissen, ohne Arbeit geht es auch da nicht. So ganz von alleine fällt einem nichts in
    den Schoss. Mit Talent kannst du es schneller umsetzen. Toi, Toi, Toi. 
     
    Frage: Dann hast du zunächst relativ klein angefangen, vor allem mit Auftritten im
    Rahmen von anderen Programmen? 
    Ja, ja. Ich habe alleine immer getanzt, als Vortänzer - oder Eintänzer - in den
    sechziger Jahren. Man nannte uns Go-Go-Boys und Go-Go-Girls. Witzigerweise hat man das
    heute wieder, auf Ibiza und überall. Diese Vortänzer, die powern die andern Leute auf,
    entweder in der Diskothek, auf der Tanzfläche, oder wir hatten über der Tanzfläche so
    en Gitter, und da drin haben wir getanzt und haben halt das Publikum mitangefeuert. Und
    dann hab ich halt auch gesungen, hab die Nummern angesagt und durchs Programm geführt.
    Das waren so die Anfänge. Und dann hab ich im Travestiegeschäft einen Kollegen
    kennengelernt, mit einem wunderschönen Namen, Coco La Fontaine, sensationell. Eigentlich
    hiess er Helmuth Hubinger, klingt etwa so wie: Schokolade mit Zwiebeln. Mit dem hab ich
    mich zusammengetan zu einem Duo, er hatte auch gute Kontakte und Connections, und mit ihm
    bin ich gereist als Duo-Partner. Und hab dann Komik-Nummern gemacht, mit Coco zusammen.
    Hab die Ansagen gemacht und hab ein Lied gesungen, dann ist Coco wieder rausgegangen, wir
    hatten so ne kleine Show zusammen. 
    Wir sind dann gereist einige Zeit lang, nur irgendwann, als dann dieser Bruch kam in
    Hamburg, da ging das natürlich nicht mehr, weil, als ich dann umgestiegen bin ins
    Travestiefach, da waren wir gleichwertig, gleich zwei Travestie-Künstler in einem Duo.
    Auf Dauer wollten wir das dann auch nicht mehr. Und so haben wir uns getrennt, und jeder
    hat seinen eigenständigen Weg weitergeführt. Und bei mir hat sich das dann immer weiter
    aufgebaut, bis es zu dem geworden ist, was es heute ist.
     
    Frage: Was macht Coco La Fontaine heute?
    Coco war, als ich mit ihr zusammen war, eine Voll-Play-back-Nummer. Sie hat also
    Parodien gemacht und dazu nur den Mund geöffnet, Imitationen. Und irgendwann hatte ich
    dann mal die Möglichkeit ihm ein wenig von dem zurückzugeben, was er mir am Anfang
    gegeben hat, weil, er ist dann ins live-Geschäft eingestiegen. Vorher hat er immer Angst
    gehabt, selber zu singen, und ich hab ihn dann ermutigt und gesagt, Mensch, mach doch und,
    und, und. Er hat eine sehr schöne getragene Chanson-Stimme. Und ich hab ihm dann ein paar
    Play-backs gegeben von mir, zum Beispiel "Oh, Champs Elyses" von Joe
    Dassin. Und so hat er dann in Nürnberg angefangen zum erstenmal live zu singen. Da hab
    ich dann im Publikum gesessen und mehr geschwitzt als er auf der Bühne.
    Er macht heute das, was ich auch mache, nur in einer etwas anderen Form, weil ich ein
    bisschen flippiger bin, und Coco macht mehr so getragene Sachen, Chansons, singt sehr viel
    Wiener Lieder und spricht auch dazwischen und hat so seinen Weg gefunden, weil sich auch
    die Figur im Laufe der Jahre ein bisschen verändert hat. Die schönen Rolle der Beauties
    fallen ja mit den Jahren weg, so dass man ins Fach der komischen Alten wechselt. Es geht
    ihm gut, auch nach zwanzig Jahren haben wir immer noch ständig Kontakt miteinander und
    freuen uns auch, wenn wir uns wiedersehen. Es ist eine Freundschaft geworden. 
     
    Frage: Aber in dieser Zeit da warst Du immer nur ein (kleiner) Teil des Programms?
    Ja, ja, in den grossen Kabaretts war das immer so. In Hamburg waren wir beispielsweise
    zwanzig Artisten, in der guten Zeit. Das ganze lief über nen Zeitraum von ungefähr drei
    Stunden. Jeder hatte seinen Part, seinen Auftritt, alle hintereinander, jeder hat seine
    Nummer gemacht. Und das Ganze hat sich zu einer Revue, zu einer Show zusammengefügt. Und
    ich hatte vielleicht fünfzehn oder zwanzig Minuten davon, und die durft ich auf die
    Bühne, und wenn ich zu lang war, gab es ein Lichtzeichen vom Diskjockey, und dann
    wusstest du, aha, du musst jetzt runter von der Bühne, der nächste wartet in den
    Startlöchern. So war das eigentlich immer ein bisschen stressig, du hast nie Zeit gehabt,
    dich auszuleben, dem Publikum was zu geben, wenn es das wollte. So war ich jahrelang immer
    integriert in grosse Programme, es sei denn, du hast mal ne Gala gehabt. Dass Leute dich
    so toll fanden und dich alleine engagieren wollten, für irgendwelche Betriebsfeste,
    Jubiläen und Geburtstage. Und dann konntest du da dein Talent natürlich mehr rauslassen,
    weil du länger arbeiten konntest, weil du einfach Zeit hattest, weil nur du da warst.
    Die ganzen Jahre über hab ich das gemacht, die Tingelei, das heisst von Stadt zu
    Stadt, von Kabarett zu Kabarett, von Nachtklub zu Nachtklub, von Diskothek zu Diskothek.
    Bis ich dann mal gesagt habe, isses das eigentlich? Da kommen wir in den Bereich vom
    Polygon, wo ich dann den Ausstieg gemacht habe. Eigentlich sehr spät, erst vor ungefähr
    drei Jahren, wo ich gesagt habe, Schluss. Und in dem Alter, wo ich mich jetzt befinde, hab
    ich einfach noch ne Möglichkeit gehabt, jetzt im August 1994 bin ich 43. Na, vor zwanzig
    Jahren wär mir das auch lieber gewesen, wenn das da angefangen hätte, einen derart
    grossen Schritt nach vorne zu machen. Aber, ich muss dazu auch immer sagen, ich bin ein
    bisschen faul, phlegmatisch. 
    Ich bin nie so en Karrieretyp gewesen. Und bis heute auch nicht geworden. Ich hab mir
    jetzt kleine Ziele gesteckt, dass ich sage, das möcht ich schauen, ob ich das erreiche.
    Wenn nicht, ist es auch egal, aber es wär schön, wenn ich da hin kommen würde. Mir hat
    immer der Ehrgeiz gefehlt, der zum Beispiel Mary und Gordy vorrangig war. Mary wusste
    immer, was sie wollte. Das hab ich nie gemacht. Vielleicht wär ich schneller
    weitergekommen, aber ich hab eigentlich lieber intensiv und ruhiger gelebt und meinen Job
    gemacht. Und wenn ich genug Geld hatte, weil ich das Gefühl hatte, das ist genug für
    mich zum Leben, dann hat mir das gereicht. Ich war immer selbstgenügsam.
     
    Frage: Hast du von Anfang an diese Improvisationen gemacht, oder hat sich das erst
    später entwickelt? Hat das einige Zeit gebraucht?
    Ich war schon immer schnell, schon in der Jugendzeit, als junger Bursche und, und, und.
    Nur, auf der Bühne hat das natürlich auch nicht so angefangen, wie es heute ist. Am
    Anfang, die Nummern die ich gemacht habe, da hab ich gesungen und guten Abend gesagt und
    getanzt, da musste ich nicht so gross investieren, nicht so viel von mir geben. Und als
    ich nachher anfing im Travestiegeschäft, da hab ich zwischen meinen Liedern, die ich
    gesungen hab, da hab ich - wie nennt man das? - berleitungen gemacht. Zwei, drei
    Witze erzählt und zur nächsten Nummer übergeleitet. Und diese Sache ist dann gewachsen.
    Ich hab einfach gespürt, und Kollegen haben mir's auch gesagt, Mensch, du kommst doch
    an, erzähl doch ruhig mehr. Da ist das dann gewachsen. Es war schon vorhanden, nur, ich
    konnte vorher nicht damit umgehen, dass die Leute mehr von mir hören wollten. Das habe
    ich erst gespürt, im Laufe der Zeit. Die ersten Versuche als Frau, mit der
    Confrence und allem, die waren eigentlich auch mehr kläglich. Das war nicht so
    dieses, rauf, und jetzt bin ich da, und jetzt geht's los. Ich war zwar nett, hab für die
    damalige Zeit auch hübsch ausgesehen. Wenn man die Fotos heute ansieht, sind sie
    allerdings furchtbar. Ich sehe heute jünger aus als damals.
    Es hat sich aufgebaut, und es hat sicher erst mal fünf Jahre gebraucht, als Frau, bis
    ich überhaupt mal da war, bis ich sagen konnte, ich bin eine selbstständige Nummer
    geworden, ich hab zu meinem Weg gefunden. Das heisst, ich musste am Anfang alles
    ausprobieren. Ich hab hauptsächlich deutschen Schlager gesungen, damals. Ich wollte mich
    dann aber auch ein bisschen abheben von den andern, denn das haben zehn Kollegen neben mir
    auch gemacht. Ich bin schliesslich mehr auf's Englische gegangen, hab mehr englische Titel
    gesungen, was die Kollegen teilweise nicht gemacht haben, teilweise auch nicht konnten.
    Und ich war auch in der Confrence schneller und konnte improvisieren, was viele
    nicht können, die haben ihre Linie gehabt, haben ihre Witze jeden Abend gleich gebracht,
    bis zu den Pausenstellen, den Atmungsstellen, und das ging bei mir nicht. 
    Ich hab lieber jeden Abend was Neues erfunden, hab Zeitung gelesen tagsüber und abends
    daraus Gags gemacht. Das hat mir den Namen eingebracht, den ich heute habe, weil man
    gemerkt hat, ich bin aktuell, ich konzentriere mich aufs Publikum, und ich mach meine Show
    mit dem Publikum, nicht übers Publikum hinweg. Und ich beziehe die Leute mit ein, das
    heisst, ich hab immer sehr ortsbezogen gearbeitet. Wenn ich in Salzburg war, hab ich auch
    was von Salzburg erzählt, in Hamburg von Hamburg und in Zürich von Zürich, nicht
    einfach nur die Gags, die ich überall erzähle, ich hab sie angepasst. Und das nehmen die
    Leute unheimlich auf, wenn du aus ihrer Region was machst. Dann spüren und wissen sie, du
    befasst dich mit ihnen, und schon hast du eigentlich gewonnen.
     
    Frage: Gibt es einen Spitznamen von dir, so was wie Schmidt-Schnauze?
    (zögert) Jah...man hat mal gesagt die Revolverschnauze, weil ich einfach immer so
    schnell war. Ich hab manchmal schneller gesprochen, wie die Leute schiessen konnten.
    Argumente sind besser als Blei. Ich schiesse lieber mit Worten als mit Pistolen. Ein
    anderer Kollege hat meinen Künstlernamen France Delon veralbert und mich Franz der Clown
    genannt. Da hiess ich halt immer Franz der Clown. Namen waren für mich nie so wichtig,
    sondern mir war wichtig, dass mich das Publikum mochte, natürlich gehört ein Name dazu,
    sonst kann sich keiner an dich erinnern, und keiner weiss, was auf ihn zukommt, wenn er
    den Namen nicht kennt.
     
    Frage: Wie ist dein Künstlername, France Delon, zustande gekommen? Und ist Frank
    Conrady nicht auch schon ein Künstlername, eine Kreation?
    Es ist ganz simpel: Mein Vater hiess Karl, da konnte ich nicht auch noch Karl heissen,
    also hat man mir den Namen Karl-Heinz gegeben, geboren bin ich also als Karl-Heinz Henke.
    Doch den Namen hab ich nicht lange behalten. Als ich auf die Bühne gegangen bin, ich
    hatte damals ne Freundin, wir waren in Köln und haben uns gesagt, Karl-Heinz Henke, das
    tönt doch doof, was machen wir? Und damals war am Radio Luxemburg der Frank von Radio
    Luxemburg sehr aktuell, und wir haben uns gesagt, Frank, das wär eigentlich nen schöner
    Name. Und ihre Tante hatte unterhalb von unserm Fenster einen Gemüseladen und hiess
    Konradi, zuerst haben wir noch gewitzelt und gesagt, ja, Frank Kohlrabi. Und daraus haben
    wir Frank Conrady gemacht.
    Und mit dem Namen hab ich jahrelang gearbeitet und hab ihn auch privat beibehalten.
    Selbst viele gute Bekannte wissen nicht einmal, dass ich amtlich eigentlich ganz anders
    heisse. Als ich dann ins Travestiegeschäft umgestiegen bin, braucht ich wieder einen
    Namen. Durch Wortspielereien sind wir von Frank schon mal zu France gekommen, das war
    leicht. France, France? Wenn wir schon nen französischen Vornamen haben, muss es auch
    melodisch dazu klingen. Wieder in der Garderobe, zusammen mit den Kollegen, haben wir
    danach gesucht, und nach vielleicht fünf Stunden kamen wir auf France Delon, wobei ich
    den Nachnamen deutsch ausgesprochen habe, weil ich ja aus Deutschland komme. Manche
    sprechen das heute französisch aus, ist mir auch egal. 
    In der Schweiz bin ich auch nicht France, da bin ich's Fränzi, teilweise, liebevoll
    und nett gemeint. Heute habe ich drei Namen. Aber mit Frank Conrady lebe ich eigentlich am
    längsten. Den ersten kennen eigentlich nur noch meine Mutter und meine Geschwister.
    Bockelmann assoziiert man ja auch nicht mit Udo Jürgens. Oder Anne May Bullock mit Tina
    Turner. Ich finde, es sollte jeder die Möglichkeit haben, sich den Namen auszusuchen, mit
    dem er gerne leben möchte. 
     
    Frage: Du hast Geschwister? 
    Ja, meine Familienverhältnisse, die sind gigantisch. Mein Vater lebt nicht mehr, 1995
    wäre er 100 Jahre alt geworden. Mein Vater ist 1895 geboren, ich bin also ein
    Spätzünder. Er war 56, als ich geboren wurde. Mein Vater hatte zunächst zwei Ehen, er
    ist zweimal Witwer gewesen. Und hat aus diesen Ehen drei Kinder, aus der ersten zwei, aus
    der zweiten eine Tochter, drei Töchter insgesamt. Seine älteste Tochter ist älter als
    meine Mutter übrigens. Meine Mutter ist jetzt 75, seine älteste Tochter ist um die 78
    rum. Und meine Mutter hat er schliesslich auch geheiratet, sie hatte sich von einem andern
    Mann scheiden lassen, sie hat zwei Töchter in die Ehe mitgebracht, ich hab also insgesamt
    fünf Halbschwestern. 
    Ich hab zu meiner ältesten Schwester auch immer Tante gesagt. Als Kind hat man mir
    wahrscheinlich nicht zugetraut, dass ich diese schwer zu durchschauenden Umstände
    begreife. Sie hiess Tante Ilse. Als Nachzügler und eigentliches Einzelkind bin dann ich
    entstanden. Ich bin das einzige Kind aus dieser dritten Ehe meines verstorbenen Vaters.
    Ich bin auch der einzige Junge - dachten sie, zumindest damals noch. Und mein Vater hat
    die ganze Entwicklung nicht mehr miterlebt, vielleicht hätt ich's nicht gemacht, wenn
    mein Vater noch gelebt hätte. Und meine Mutter hat sich ganz normal damit
    auseinandergesetzt, hat meine Shows besucht, als ich noch halbnackt getanzt habe, und sie
    kommt auch heute noch zu den Premieren, sie ist immer mal dabei. 
    Sie hat keine Probleme damit, dass ihr Sohn als Frau auftritt. Auch alle meine
    Geschwister kommen, die wissen, was ich mache. Und die freuen sich auch immer, wenn ich
    irgendwo bei ihnen in der Nähe bin. Wenn ich auftrete, sind sie sofort da, auch meine
    ganzen Neffen und Nichten mittlerweile. Ich muss mich oder meinen Beruf nicht vor meiner
    Verwandtschaft verstecken und womöglich noch Angst haben, es kommt was in der Zeitung, im
    Gegenteil, die rufen mich eher an. Meine Mutter ist eh noch wild genug mit ihren 75
    Jahren. Ich hoffe, ich hab das Temperament geerbt. 
     
    Frage: Was hat dein Vater gemacht?
    Mein Vater war - meine Familie kommt eigentlich aus Pommern, dem heutigen Polen. Die
    haben im Krieg dann flüchten müssen. Und konnten auch nichts mitnehmen. Mein Vater war
    selbständiger Kaufmann, hatte auch Güter dort oben, Kolberg war ein altes Seebad an der
    Ostsee, und dort hatte er Lebensmittelgeschäfte. Meine Mutter hat als Verkäuferin bei
    ihm gearbeitet - wie das so ist - sie schnappt sich dann den Chef, später.
    Und die mussten alles dalassen, waren auch rentenmässig nicht versehn. Und als mein
    Vater aus jahrelanger russischer Gefangenschaft kam, war er ja dann schon 55, und sie
    mussten in den Aufbaujahren, mit dem, was sie auf dem Leib hatten, von vorne anfangen. Das
    war für meine Eltern schwierig, die kriegten nichts vom Staat, ausser einem verschwindend
    geringen Lastenausgleich. Ja, und dann hat er nochmals bis zu seinem 70. Lebensjahr
    gearbeitet, auf dem Kölner Flughafen. Meine Mutter hat die ganzen ersten Jahre nach dem
    Krieg in der Lühneburger Heide bei einem Bauern gearbeitet, dort wurde ich dann geboren.
    In Köln ist sie auch arbeiten gegangen, sie ist in den schwierigen Nachkriegsjahren, wo
    es nicht viel gab, Putzen gegangen. Nachher hat sie in einem Offsetlabor gearbeitet. Jetzt
    hat sie seit zehn Jahren ihre Rente.
    Sie hat dann mit 70 nochmals geheiratet, nach dem Tod von meinem Vater hat sie zwanzig
    Jahre mit ihrem Lebensgefährten zusammengelebt und mit 70 nochmals geheiratet. Ihr war
    danach, es war sehr lustig. Sie rief an, dann und dann, hast du da was vor? Ne, eigentlich
    nicht. Dann halt dir das mal frei, ich heirate dann nochmals. Drei Jahre nach der Hochzeit
    ist dann ihr letzter Mann gestorben, und sie bekommt glücklicherweise seine Rente auch
    mit. Es geht ihr gut.
     
    Frage: Gibt es in deiner Familie eine musische Vorprägung?
    Mein Opa väterlicherseits war sehr musikalisch. Ansonsten haben alle andern
    Familienmitglieder nichts Musisches mitgebracht oder haben es selber nicht entdeckt. Ich
    hab als Kind schon immer gerne mitgesungen, zu Schallplatten, und dann glaub ich, dass die
    ganze Singerei durch den Kirchenchor geweckt wurde. Ich habe heute persönlich nichts mehr
    mit der Kirche zu tun, aber in den Jahren, als Kind, bin ich in den protestantischen
    Kirchenchor, obwohl ich noch gar nicht getauft war in jenem Zeitpunkt. Als Kind hatte man
    nur eine Nottaufe gemacht, weil ich war kurz vor dem Absturz, man wusste nicht, ob es
    klappt oder nicht. Da haben mich meine Eltern nottaufen lassen, falls ich das jetzt nicht
    so packe, haben sie sich gesagt, soll ich wenigstens getauft sein, wenn sie mich wieder
    eingraben.
    Da hab ich gedacht, ich werd euch was pfeifen. Und hab das nicht gemacht. Dann wollten
    meine Eltern das nicht noch nachvollziehen, haben gesagt, der Junge soll das später
    selber entscheiden. Ich bin dann mit vierzehn Jahren offiziell getauft worden, kurz vor
    der Konfirmation musste ich noch schnell zur Taufe, denn sonst kann man die Konfirmation
    nicht machen. Und vor einigen Jahren bin ich dann schon wieder aus der Kirche ausgetreten.
    Nicht wegen der Kirchensteuer, sondern aus berzeugung. Weil, Kirche in jeglicher
    Form, bringt mir gar nichts. Und Glaube hat nichts mit Kirche zu tun. Seinen Glauben muss
    jeder selbst für sich finden. Die Kirche an sich brauche ich persönlich nicht. 
     
    Frage: Das war demnach die Zeit der deutschen Schlager, in der du aufgewachsen bist?
    Ja, ich bin mit allen gross geworden, mit Fred Bertelmann, Udo Jürgens, Roy Black bis
    Conny Froboes. Rudi Schurike war eine Generation davor. Die ganzen Altstars, wie Rudi
    Schurike oder Zarah Leander, Marlene Dietrich, die habe ich alle noch live miterleben
    können. Alle. Die Dietrich war in Berlin, die haben wir in Berlin gesehen. Und, wie das
    so ist, die Jungen reisen überall hin, wenn irgendwo ein Konzert war, dann ist man da
    hin, das muss ich sehen. Ich hab auch die ganzen Stars wie Shirley Bassey, Tom Johnes
    gesehn, dann kamen die Beatles, die Rolling Stones, das wolltest du alles mitnehmen. Da
    hast du nebenbei gearbeitet, um dir überhaupt die Karten leisten zu können.
    Zarah hab ich in Köln erlebt. Das werd ich nie vergessen, das war bei einem Open-Air
    Konzert in Köln, das hiess "Im Tanzbrunnen". Und das hat geregnet und
    gewittert, und sie war schon sehr, sehr alt und kam dort noch mit Arne Hülfers, ihrem
    Mann, raus. Sie sind beide eigentlich mehr auf die Bühne geführt worden, weil, sie hat
    nicht gut gesehn und Arne auch nicht. Sie hat immer ein Riesendécolltéé eine wahnsinnig
    grosse Brust gehabt, nee, das Décolltéé einfach. Den Rippenbereich, da hat sie
    auch immer mit der flachen Hand draufgeschlagen, wenn sie sich persönlich gemeint hat.
    Und dann sollte das Konzert ausfallen, wegen dieses heftigen Gewitters. Es hat gedonnert
    und geregnet. Ich werde das nie vergessen. Dann stand sie da vorne, und dann hat sie in
    ihrem typischen, unnachahmlichen Zarah-Ton gesagt: "Ruhe da oben, jetzt singe
    ich!"
    Und witzigerweise hörte das Gewitter auf, sie hat das Konzert gestartet, und Zarah hat
    durchgesungen. Ich weiss nicht, wie man das bewerten soll, aber es ist tatsächlich
    passiert, ich war dabei und Tausende andere. Und das Gewitter hörte wirklich schlagartig
    auf und verzog sich. 
    Sie war immer die Mutter der Nation der Homosexuellen. In Deutschland auf jeden Fall.
    Wenn sie da rausgekommen ist, die ersten zehn Reihen war voller Tunten, dann ist sie in
    einem Meer von Rosen gestanden. Und das erste, das sie jeweils sagte, als sie rauskam, das
    weiss ich auch noch, sie stellte sich vorne hin, sie war einfach da, sie war wie eine
    Säule, die schon 50 Jahre da stand, und hat gesagt: "Nein, ist das warm hier, Gott
    sei Dank, Gott sei Dank!" 
    Und sie meinte damit, sie wusste, was sie dem Szenenpublikum, das sie verehrte, zu
    verdanken hatte. Sie war ja nach dem Krieg in Deutschland verpönt wegen ihrer Filme, die
    sie in der Nazizeit gemacht hat. Die Tunten in Deutschland, die Homosexuellen, haben sie
    wieder hochgeholt, hochgejubelt, zu dem, was sie dann war und wurde wieder. Haben dazu
    beigetragen, dass das Publikum wieder extrem aufmerksam wurde auf sie. Ähnlich war es mit
    Marlene oder Hildegard Knef in Deutschland. Die Knef wird extrem verehrt, sie ist auch
    immer dazu gestanden, dass sie bei den Tunten ihr grösstes Publikum hatte. 
     
    Frage: Wo hast du die Knef gehört? 
    Die Knef war in München, ja da hatte sie noch die langen Haare, und die Knef hatte
    doch immer diese irrsinnigen Wimpern, die hat ja zwanzig Paar Wimpern übereinander
    geklebt. Da hattest du das Gefühl, die bringt die Augen gar nicht mehr auf, aber das
    gehörte alles dazu. Das war die Zeit, bevor sie nach Amerika ging, als sie ihre grossen
    Erfolge hatte, wo sie auf Tour war. Du konntest in die Hallen gehen, wo du wolltest, das
    erste Drittel, das da sass, das waren einfach immer Schwestern, obwohl sie nicht aus dem
    Krankenhaus kamen. Männer haben es eigentlich nie geschafft, in den schwulen Kreisen so
    verehrt zu werden. Es waren immer Frauen, komischerweise.